Mülheim an der Ruhr, 28. Oktober 2025
Die unabhängige Rechtsberatung für Geflüchtete in Nordrhein-Westfalen steht zunehmend unter Druck – sowohl durch politische Reformen als auch durch eine prekäre finanzielle Förderung
durch das Land. Beim diesjährigen Fachtag „Beraten. Schützen. Handeln. Wenn politische Reformen auf persönliche Geschichten treffen“ machten über 100 Fachkräfte aus Beratung, Politik und Verwaltung am Dienstag in Mülheim an der Ruhr deutlich: Der Zugang zum Recht darf nicht vom Haushalt abhängen.
„Rechtsberatung ist systemrelevant – sie ist ein zentrales Instrument zum Schutz der Demokratie,“ betonte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats e.V. „Wer Rechtsschutz abbaut, schwächt den Rechtsstaat selbst. Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung braucht es starke, unabhängige Strukturen, die Menschen auf der Flucht unterstützen und zugleich das Vertrauen in demokratische Institutionen stärken.“
Die Veranstaltung im Bildungshaus Wolfsburg zeigte eindrucksvoll, dass die Beratungsstellen zwischen komplexen Fallberatungen, politischen Verschärfungen und knapper Finanzierung zunehmend unter Druck geraten – und dennoch mit großer Fachlichkeit und Zusammenhalt agieren. „Unsere tägliche Arbeit steht im Spannungsfeld zwischen politischem Tempo bei der Verschärfung von Gesetzen und den individuellen Lebensgeschichten von Menschen auf der Flucht,“ sagte Stephan Böhmer, Vertreter der überregionalen Fachstelle im Landesprogramm Regionale Beratung von Geflüchteten in NRW. „Der Fachtag hat gezeigt, wie wichtig unabhängige, menschenrechtsorientierte Beratung gerade jetzt ist, um den Zugang zum Recht zu ermöglichen.“
Politische Weichenstellung und offener Dialog mit dem Ministerium Eröffnet wurde der Fachtag durch Ministerin Josefine Paul vom Ministerium für Kinder, Jugend,
Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW (MKJFGFI). In ihrem Grußwort stellte sie die Perspektiven für die Weiterentwicklung der Beratungsstruktur vor und betonte die Pläne zur gesetzlichen Verstetigung der Flüchtlingsberatung. Dabei hob sie hervor, dass es eine verlässliche, landesweite Struktur, die geflüchteten Menschen den Zugang zu ihren Rechten sichert, braucht. Dafür wolle sie gemeinsam mit den Trägern tragfähige Lösungen entwickeln.
Die anschließenden Fachvorträge und die weitere Podiumsdiskussion beleuchteten aktuelle Reformvorhaben wie die Einführung der Bezahlkarte, die Ausweitung von Abschiebehaft und die
Aussetzung des Familiennachzugs und die zukünftigen Förderbedingungen für das Förderprogramm „Regionale Beratung von Geflüchteten“.
Besonders kontrovers diskutierten Mustafa Kurt (Diakonie Solingen), Claudius Voigt (GGUA) und Sebastian Rose (Komitee für Grundrechte) die sozialen und menschenrechtlichen
Konsequenzen dieser Entwicklungen gemeinsam mit Ministerin Paul. Frau Sevindim (Abteilungsleiterin Integration des MKJFGFI) diskutierte mit den Teilnehmenden die Rahmenbedingungen der Förderstruktur. Sie hob hervor, dass Sie offen sei für Kritik, die einer Verbesserung des Programms und der Verfahrensabläufe diene. Eine direkte Adressierung ihrer Abteilung sei immer möglich. Lisa Bleckmann (VAKS e.V.) argumentierte, dies sei nicht die originäre Aufgabe der Beratenden, die eine hochqualifizierte Beratung anbieten. Es sei eher Aufgabe der Träger, den direkten Kontakt zum Ministerium herzustellen und die Herausforderungen anzusprechen.
Beratung als Grundpfeiler des Rechtsstaats
Einen wissenschaftlich fundierten Blick auf die rechtlichen Grundlagen bot Prof. Dr. Marei Pelzer (Universität Frankfurt) in ihrem Vortrag zur „Relevanz unabhängiger rechtlicher Beratung“. Sie erinnerte daran, dass der Zugang zu qualifizierter Rechtsberatung eine Voraussetzung für effektiven Rechtsschutz und gelebte Demokratie ist: „Rechtsberatung ist kein Luxus, sondern Grundbedingung des Rechtsstaats,“ so Pelzer. „Nur wer
seine Rechte kennt, kann sie auch wahrnehmen – das gilt besonders für Menschen im Asylverfahren.“
Der Fachtag endete mit einem gemeinsamen Fazit: Reformprozesse dürfen nicht zulasten des Rechtsschutzes und der Menschenwürde von Geflüchteten gehen.
Das Netzwerk der Regionalen Beratungsstellen kündigte an, den Dialog mit dem Ministerium fortzusetzen und sich weiterhin für eine nachhaltige, menschenrechtsorientierte Beratungsstruktur einzusetzen.
Hintergrund
Das Landesprogramm „Regionale Beratung von Geflüchteten in NRW“ stärkt seit 1997 die unabhängige und qualifizierte Flüchtlingsberatung. Es wird vom Ministerium für Kinder, Jugend,
Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW gefördert und durch die freien Träger und Wohlfahrtsverbände umgesetzt.
Der Fachtag 2025 wurde von den überregionalen Fachstellen organisiert und diente der Vernetzung, Weiterbildung und politischen Positionierung der Beratungslandschaft in NRW.
Freigabe: sofort
Pressekontakt:
Stephan Böhmer
Überregionale Fachstelle für Schulung & Qualifizierung
im Förderprogramm für den Regierungsbezirk Arnsberg
Sandstraße 28, 57072 Siegen
s.boehmer.vaks@gmail.com
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